Montag, 5. März 2007

Die Saurier von Odernheim am Glan



Das Leben in einem See der Permzeit (Rotliegendzeit)
vor etwa 290 Millionen Jahren



Wiesbaden (fossilien-welt) - Ein bis zu zwei Meter langer Lurch beherrschte in der frühen Permzeit (wegen den teilweise auffälligen rotgefärbten Gesteinen auch Rotliegendzeit genannt) vor etwa 290 Millionen Jahren die flachen Süßwasserseen bei Odernheim/Glan und bei Jeckenbach unweit von Meisenheim in Rheinland‑Pfalz. Dieses stattliche Amphibium zählt zu den Dachschädlerlurchen (Stegocephalia), deren besonderes Merkmal ein stark verknöchertes Schädeldach ohne Schläfenöffnung war. Die imposanten Lurche beeindruckten die Wissenschaftler, die sie erstmals untersuchten, so sehr, dass sie die Odernheimer Ablagerungen als Stegocephalenkalke bezeichneten.



Nach den bisherigen Funden zu schließen, bewohnten haupt­sächlich jugendliche Exemplare von Dachschädlerlurchen der Art Sclerocephalus das Odernheimer und auch das Jeckenbacher Gewässer. Dort überwiegen nämlich Funde von 10 bis 30 Zentimeter langen Formen, während halberwachsene oder erwachsene Tiere ausgesprochen selten sind. Dies könnte bedeuten, dass die Larven von Sclerocephalus, die weitaus agiler als die Elterntiere waren, in Lebensräumen heranreiften, die den großen Exemplaren weitgehend ver­schlossen waren. Vermutlich war dies eine "Vorsichtsmaßnahme" der Natur, die verhinderte, dass die kleinen Scleroce­phalen ein Opfer gefräßiger erwachsener Dachschädlerlurche wurden.

Das Institut für Geowissenschaften der Johannes‑Gutenberg-Universität in Mainz sowie das Paläontologische Museum von Nierstein/Rhein
www.museum-nierstein.de
besitzen prächtige Skelettfunde von Dachschädlerlurchen aus den einstigen Seen der Rotliegendzeit im Naheraum. Das geschlossene Schädeldach dieser Ur‑Lurche, das nur von den Öffnungen der Geruchs‑ und Lichtsinnesorgane durchbrochen wurde, wirkt wie eine große Maske. Der Dachschädlerlurch Sclerocephalus von Odernheim und Jeckenbach besaß außer den Zähnen am Ober‑ und Unterkieferrand drei weitere Zahnpaare auf dem Gaumen. Solche Gaumenzähne hatten schon die ersten Lurche der Erde (Ichthyostega), die im obersten Devon auftraten.

Die Gaumenzähne des Sclerocephalus waren besonders stark ausgeprägt. Man könnte sie fast als Hauer bezeichnen. Sie dienten zum Festhalten großer Beutetiere. Die urtümlichen Lurche schnappten nach Fischen wie Paramblypterus und schlangen diese in einem Stück hinunter. Dabei packten die Gaumenzähne mit zu und hielten den glatten Fischleib fest, damit er nicht wieder aus dem Maul rutschen konnte.

Auch manche Froschlurche und Salamander der Gegenwart verfügen über solche Gaumenzähne, sie sind aber viel kleiner als die einige Zentimeter langen Hauer des Sclerocephalus. Bei den Amphibien des Erdmittelalters, wie etwa den Mastodonsauriern aus der Triaszeit vor etwa 220 Millionen Jahren in Württemberg, erreichten die Gaumenzähne, deren Zahl und Anordnung je nach Art unterschiedlich ist, nur etwa die Größe der randlichen Kieferzähne. Berühmt wurde die in den frühen zwanziger Jahren von dem bayerischen Landesgeologen Otto M. Reis entdeckte Fundstelle Odernheim vor allem durch ihre einzigartigen, mit Hautresten erhaltenen Branchiosaurier. Die nur wenige Zentimeter langen Lurche stimmen in Größe und Gestalt mit den heutigen Molchen überein. Sie besaßen einen seitlich abgeplatteten Schwanz und Andeutungen eines Flossensaumes.

Untersuchungen des Mainzer Paläontologen Jürgen Boy klärten die alte Streitfrage, ob die Branchiosaurier nur Larven von großen Lurchen (etwa Sclerocephalus) waren oder ob sie eine eigene Gattung winziger Amphibien darstellten. Für Larven waren die Branchiosaurier vor allem wegen ihrer seit­lich am Kopf befindlichen Kiemenbündel (daher die Bezeich­nung Branchiosaurus = Kiemensaurier) gehalten worden.

Jürgen Boy stellte fest, dass die meisten der bis dahin als Branchiosaurier bezeichneten Tiere kleinwüchsige Lurche waren, die im Larvalstadium erwachsen wurden und sich fort­pflanzten. Sie machten keine Metamorphose durch, bei der sich Larven zum fertigen Tier entwickeln – so wie etwa aus Kaulquappen Frösche entstehen. Die Branchiosaurier verharr­ten statt dessen äußerlich im Larvalstadium, entwickelten aber viele Merkmale, die erwachsene Tiere besitzen. Ähnliches gibt es auch in der heutigen Tierwelt unter den Amphibien: So sieht der Axolotl aus Mexiko wie eine ausgewachsene Larve aus.

Der schmale Schultergürtel der Branchiosaurier verweist darauf, dass sie ursprünglich Landtiere waren, die sich sekundär an das Leben im Wasser angepasst haben.

Bei Durchsicht des Branchiosaurier‑Fundmaterials fielen Jürgen Boy an einigen wenigen Exemplaren jedoch auch Unterschiede auf, die früher nicht beachtet wurden. Diese Stücke besaßen einen Schädel, der länger und spitzer geformt war als das breite und kurze Haupt der meisten als Branchiosaurier bezeichneten Lurche. Außerdem hatten sie einen breiteren Schultergürtel. wodurch sie als typische Wasserbewohner ausgewiesen werden. Der Mainzer Paläontologe kam zu dem Schluss, dass diese spitzschädligen kleinen Amphibien die Jugendformen der großen Panzerlurche wie Sclerocephalus darstellen, weil sie deren Merkmale haben.

Die kräftige Bezahnung der Kiefer der Branchiosaurier und deren Gaumenelemente zeigen an, dass sich diese Tiere vorwiegend von kleineren Wassertieren, wie Krebsen und Insektenlarven, ernährten. Aus ihrer Gestalt und Nahrungsweise kann man in Analogie zu den heutigen Schwanzlurchen auf einen bevorzugten Aufenthalt in flachen, stehenden Gewässern schließen. Ihr Lebensraum waren demnach Teiche, kleine Seen sowie Randzonen oder flache Seitenbecken großer Seen. Als große Rarität gelten Branchiosaurier der Art Micromelerpeton credneri, die an den Vordergliedmaßen fünf Finger haben.

Normalerweise besitzen solche Amphibien vorn vier Finger und nur hinten fünf. Jürgen Boy wertet das spärliche Auftreten von Funden mit fünf Fingern an den Vorderextremitäten als einen Rückgriff auf altertümliche Merkmale (Atavismus), der belegt, dass die Branchiosaurier von bislang unbekannten Vorfahren abstammen, die ebenfalls ein solches Charakteristikum aufwiesen. Auch andere ausgestorbene Amphibien, die nahe mit Reptilien verwandt sind, verfügten vorn über fünf Finger.

Auffallend ist, dass die Stegocephalenkalke bei Odernheim eine ungewöhnlich individuenreiche, aber artenarme Tierwelt hervorgebracht haben. Leben gab es nur in den gut durchlüfteten Oberwasserschlichten, jedoch nicht am Boden. Der Fossilienreichtum von Odernheim durfte ebenso wie derjenige von Lebach im Saarland auf gelegentliche Katastrophen zurückzuführen sein.

Hinweise auf die Verhältnisse des Odernheimer Sees zur Rotliegendzeit gibt das Fehlen von Süßwasserhaien (Xenacanthus) sowie der sich gerne in tieferem Wasser aufhaltenden Archegosaurier. Diese Tiere fanden offenbar trotz des reichen planktonischen Nahrungsangebotes keine" ausreichende Lebensgrundlage. Statt ihrer konnten sich in dem Odernheimer Gewässer nur besonders ausdauernde oder an die sauerstoffarme Umwelt angepasste Formen wie Paramblypterus behaupten.

In dem sehr umfangreichen Fundgut ist die Pflanzenwelt bislang nur begrenzt vertreten. Farnwedel (Pecopteriden), Koniferen‑Äste (Walchien) und Samen stellen Raritäten dar. Typische Uferpflanzen wie die Schachtelhalme (Calamiten) waren selten. Eigentümlicherweise herrschten die an relativ trockene Standorte angepassten und somit vorwiegend im Hinterland der Seen beheimateten Pflanzen wie die Walchien vor. Das gelegentliche Vorkommen der Pflanzenreste, die nicht aus der direkten Nähe des Gewässers zu stammen scheinen, ist schwer zu erklären. Denn beim Odernheimer See fehlen alle Anzeichen für reichliche Wasserzufuhr von außen oder für stärkere Windeinflüsse. Im Gegenteil: Die Ablagerungen sind – nach ihrer gleichmäßigen Beschaffenheit zu schließen – unter stets gleichbleibenden, sehr ruhigen Bedingungen angehäuft worden.

Angesichts dieser Befunde muss man vielleicht von der bisher vertretenen Theorie abrücken, dass die Walchien vorwiegend im Hinterland der Seen wuchsen, und annehmen, dass die Uferzone des Gewässers bei Odernheim nicht sumpfig und von Schachtelhalmen bestanden, sondern ziemlich trocken und von Farnen und Nadelbäumen bewachsen war.

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